Meine erste Trauerrede
Also setzte ich mich hin und schrieb meine eigene Trauerrede in Form eines Briefes an die Gäste. Sehr lang war diese Rede nicht. Ich wollte niemanden langweilen und die Wartezeit auf das Beerdigungs-Buffet unnötig verlängern.
„Hi, Ihr Lieben! Es war ein bisschen kürzer als erwartet. Aber ich hoffe, dass Ihr eine gute Zeit
und viel Spaß mit mir hattet. Mutti, bitte entschuldige all den Blödsinn, den ich während der
letzten Jahre veranstaltet habe. Besser ging’s nicht. Ich habe dir noch einen langen Brief
geschrieben. Den findest Du in meinem letzten Tagebuch.
Falls irgendwelche Freundinnen anwesend sind: Lasst Euch von Euren Eltern nicht reinreden.
Macht euer Ding! Macht Party!
Und für Euch alle: Ihr müsst nicht weinen. Legt bitte die Rainbow-LP auf, die erste im Regal.
Und tanzt.
Alle, denen gegenüber ich unhöflich, unfreundlich oder sonstwie doof war, bitte ich heute um
Entschuldigung. Und ich verzeihe allen, die doof zu mir waren.
Und jetzt lebt! Eure Sabine“
Von der Trauerrede zum Lebens-Leitfaden
Viele Jahre später fand ich bei einer Entrümpelungsaktion diese Trauerrede in einem Ordner. Und erneuerte sie, weil das meiste nicht mehr aktuell war. Die Briefform behielt ich bei. Und lächelte bei der Vorstellung, dass ich durch das Vorlesen dieser Worte für meine Lieben noch einmal lebendig werden würde.
In späteren Jahren kam der Gedanke hinzu, wie schön es wäre, den Menschen, die uns wichtig sind, in guter Erinnerung zu bleiben. Wie findest Du die Idee, dass Deine Freundinnen und Verwandten nach Deinem Tod mit einem Lächeln an Dich denken? Für mich fühlte sie sich wunderbar an – genau wie der Gedanke, wieviel besser die Welt werden könnte, wenn wir alle so einem Lebensleitfaden in Form unserer eigenen Trauerrede folgen würden.
Deine eigene Trauerrede: Wie möchtest Du in Erinnerung bleiben?
Schreib erst einmal alles auf, was Dir wichtig ist. Je mehr Du dabei ins Detail gehst, desto größer wird der Wunsch, dem zu entsprechen, woran sich Deine Lieben erinnern sollen. Denn wenn wir in unserer Trauerrede schreiben, dass wir unser Leben mit großer Freude gestaltet haben, werden wir kaum griesgrämig durch die Gegend laufen wollen.
Wenn dort steht, dass wir uns für dankbare Menschen halten, werden wir schon heute Dankbarkeit praktizieren. Wenn wir uns wünschen, dass die Menschen mit einem Lächeln an uns denken, müssen wir uns so verhalten, dass sie einen Grund zum Lächeln haben. Und wenn es uns wichtig ist, als positiver Mensch in Erinnerung zu bleiben, dürfen wir uns zu Lebzeiten mit unserem Groll und unserer Wut auseinandersetzen und als Königinnendisziplin das Gute in den Dingen finden.
Warum es wichtig ist, Deine letzten Worte regelmäßig zu erneuern
Manche Ehepaare heiraten nach einigen Jahren noch einmal, um sich zu zeigen, dass sie sich immer noch lieben. Warum sollten wir es uns nicht wert sein, unseren Treueschwur an unser Leben zu erneuern?
Deshalb überprüfe ich einmal im Jahr meine Trauerrede: Steht immer noch alles drin, was wichtig ist? Hat sich etwas geändert? Sind Menschen, die bisher Erwähnung fanden, inzwischen nicht mehr an meiner Seite? Gibt es neue Erfahrungen, die unbedingt in die Rede hineingehören?
Diese regelmäßige Rückschau hat noch andere Wirkungen. Wir können mit vielem abschließen, was sich in der Vergangenheit ereignet hat. Wir verspüren ein weiteres Mal die Freude und Dankbarkeit über schöne Erlebnisse während des vergangenen Jahres. Setzen uns mit eventuell noch vorhandenem alten Groll auseinander und können vielleicht mit größerem (zeitlichem) Abstand verzeihen. Weggefährtinnen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mehr bei uns sind, können wir würdigen und ihnen ein paar freundliche Gedanken schicken.
Außerdem erkennen wir beim Lesen der Vorjahresversion, welche unserer Leitsätze wir umgesetzt haben. Und können uns die, um die wir einen Bogen gemacht oder sie sogar „vergessen“ haben, noch einmal anschauen. Wer weiß, vielleicht finden wir heraus, warum sie von uns übergangen oder sogar gemieden wurden?
So entsteht jedes Jahr ein Leitfaden für ein gutes Leben. Bei mir inzwischen zusammen mit der Erkenntnis, dass die Gäste auf meiner Trauerfeier jetzt deutlich mehr Zeit mitbringen müssen als vor 40 Jahren…
Mit der eigenen Trauerrede die Angehörigen entlasten
Für mich als Trauerbegleiterin ist noch ein weiterer wichtiger Punkt hinzugekommen: Wir nehmen unseren Angehörigen eine Last von den Schultern, wenn wir mit ihnen zu unseren Lebzeiten über unsere Wünsche nach dem Tod sprechen. Dazu kann neben der Gestaltung der Trauerfeier eben auch unsere selbst verfasste Trauerrede gehören.
Je mehr wir selbst im Vorfeld bestimmen, desto geringer werden die Zweifel unserer Lieben sein, ob auch alles in unserem Sinne gestaltet ist. Wenn ein geliebter Mensch für immer geht, haben die Hinterbliebenen allein durch diesen Verlust schon unglaublich viel auszuhalten. Sie werden dankbar sein für alles, was wir ihnen im Vorfeld abnehmen.
Und mit der Sicherheit, dass alles im Sinne der Verstorbenen geregelt ist, bleibt mehr Raum für liebevolle Gedanken.
Meine Trauerrede findet sich übrigens in meinem Notfallordner – neben vielen anderen wichtigen Papieren. Und die Menschen, die mir wichtig sind, wissen, wo er steht.
Wenn Du also neben Deiner eigenen Trauerrede auch Deine wichtigsten Unterlagen für Deine Lieben aufbewahren möchtest, findest Du hier eine Checkliste.
Wenn Du magst, schreib doch in die Kommentare, was Du von einer eigenen Trauerrede hältst. Oder hast Du vielleicht schon eine?
Herzliche Grüße,
Deine Sabine Scholze
Über die Autorin: