Frau Dr. Lindner-Wesel, wie waren Ihre eigenen Erfahrungen mit den Wechseljahren?
Es war ein bisschen schmerzhaft, dass sich, als ich etwa Mitte 50 war, Männer nicht mehr so nach mir umgedreht haben wie zuvor. Ich habe mich gefragt, ob das wohl biologisch so angelegt ist. Schauen Männer nur nach Frauen, die noch in der reproduktiven Phase sind?
Aber wir Frauen verändern uns natürlich auch in den Wechseljahren und wahrscheinlich senden wir dann auch andere Signale aus.
Was merken Frauen generell an Veränderung zuerst und wann treten diese Veränderungen auf?
Das geht schon mit Mitte Dreißig los. Die Brust spannt und die Beine können anschwellen.
In den Tagen vor der Regelblutung verändert sich die Stimmungslage stärker als früher. Die Superlaune ist plötzlich nicht mehr so toll, wir Frauen werden möglicherweise ein bisschen zickig oder unausgeglichen. Das prämenstruelle Syndrom tritt also verstärkt auf.
Mit etwa 45 Jahren werden dann die Blutungen unregelmäßiger, manchmal stärker. Es kann zu Zwischenblutungen kommen, was verunsichert oder als lästig empfunden wird. Dann kommen die Frauen zu mir und fragen: „Was ist denn bloß los mit mir?“ Ich erkläre dann, dass diese Beschwerden auf ein Ungleichgewicht der Geschlechtshormone Östrogen und Progesteron zurückzuführen sind. Das Progesteron (das vor allem stimmungsaufhellend wirkt) fällt zu Beginn der Wechseljahre stärker als das Östrogen.
So kommt es relativ gesehen zu einer Östrogendominanz, so dass sich seine Wirkung stärker bemerkbar macht, beispielsweise durch Wassereinlagerung ins Gewebe. In dieser Phase der Beschwerden sind pflanzliche Präparate meine erste Wahl.
Welche Untersuchungen sollten Frauen machen, die in die Wechseljahre kommen?
Solange die Frau noch Blutungen hat, ist die Messung des Östrogenspiegels nicht zielführend. Sinnvoll wäre dann schon eher die Bestimmung des Hormons FSH (follikelstimulierendes Hormon), welches Rückschlüsse über die Erschöpfung der Eierstöcke zulässt. Ferner sollte der TSH-Wert bestimmt werden, um zu schauen, ob die Schilddrüse in Ordnung ist. Denn Schilddrüsenfehlfunktionen können die gleichen Symptome wie zu niedrige Geschlechtshormone verursachen, beispielsweise Hitzewallungen.
Sehr wichtig ist es auch, ab dem 50. Lebensjahr eine Knochendichtemessung durchführen zu lassen. Im Alter von 35 Jahren haben wir die maximale Knochendichte erreicht, danach nimmt diese ab. Östrogen hat einen positiven Einfluss auf die Knochengesundheit. Wenn nun Osteoporose in der Familiengeschichte vorliegt, oder eine Frau wenig Milchprodukte (=Calcium) zu sich nimmt oder gar regelmäßig Kortison einnimmt, dann kann das negative Folgen für die Knochensubstanz haben. Wenn dann noch die Wechseljahre mit fallenden Östrogenspiegeln dazukommen, geht der Knochenabbau schneller vonstatten.
DXA ist heute der Goldstandard der Untersuchung. Dabei wird eine Röntgenaufnahme der Wirbelsäule und des Oberschenkels gemacht. Aus der Bildgebung lässt sich eine Messkurve erstellen, die mit den Normwerten verglichen wird. Liegt die Patientin im Mangelbereich, dann kann Vitamin D oder Sport hilfreich sein. Nach zwei Jahren sollte erneut kontrolliert werden und falls sich das Bild weiter verschlechtert, sollten medikamentöse Maßnahmen wie eine Hormonsubstitution zur Knochenstabilisierung erwogen werden.
Gehen Frauen Ihrer Erfahrung nach mit ihren Beschwerden zuerst zum Hausarzt oder zum Gynäkologen?
Meine Patientinnen kommen mit ihren Beschwerden zuerst zu mir. Das liegt vielleicht daran, dass ich sehr viel zuhöre. Ich schicke sie dann weiter, wenn etwas nicht in meinen Bereich fällt.
Ich habe schon den Eindruck, dass Frauen die Wechseljahre selbst gut erkennen können. Ich spreche dies aber auch aktiv an. Ich frage zum Beispiel nach, ob sie eine erfüllte Sexualität haben. Das finde ich total wichtig! Wenn ich dann höre, „Mein Mann hat Verständnis“, dann frage ich, ob sie interessiert sind, etwas zu verbessern. Wenn das Problem beispielsweise in trockener Haut im Genitalbereich besteht, kann man lokal eine ganze Menge tun.
Welchen Tipp haben Sie für Frauen, die das Gespräch über die Wechseljahre mit ihrem Gynäkologen gerne proaktiv initiieren wollen?
Frauen haben in jeder Lebensphase das Recht, unterstützt zu werden. Ich würde vorschlagen, dass Sie ihre Beschwerden nennen und fragen, ob das mit den Wechseljahren zusammenhängen kann.
Bitten Sie ganz konkret darum, auf Wechseljahre hin untersucht zu werden. Es bietet sich auch an, nach Informationsmaterial zu fragen.
Wirkt sich der Stress, dem Frauen heute ausgesetzt sind, eigentlich auf die Wechseljahre aus?
Die Zusammenhänge zwischen Psyche und Hormonen sind seit langem bekannt. Was mir auffällt ist, dass Frauen, vor allem, wenn sie keine Hormone einnehmen, stärker in ein Burn-Out kommen. Und das wirkt sich deutlich auf ihre Monatsblutung aus. Eierstöcke beziehungsweise Geschlechtshormone werden bei Stress zugunsten von Stresshormonen herunter geregelt. Denn biologisch geht es dann ums Überleben und nicht um Fortpflanzung. Übrigens haben viele gestresste Frauen deshalb auch Probleme, schwanger zu werden.
Bei Frauen, die sich diesen Zusammenhang bewusst machen und sich dafür entscheiden, etwas an ihrer Lebensweise zu ändern, springt das System meistens auch wieder an. Das ist übrigens auch aus der Geschichte bekannt. Im Krieg hatten Frauen oft Monate lang keine Regelblutung. Dann kamen die Männer nach Hause und plötzlich hatten die Frauen einen Eisprung. Ich finde es faszinierend, wie sich die Natur auf solche Situationen einstellt.
Bei Frauen, die stark unter ihren Wechseljahresbeschwerden leiden, steigt übrigens nicht nur der Blutdruck, sondern auch der Stresshormonpegel. Stimmungsschwankungen können dann sehr stark sein. Hier ist es wichtig, dass die Frauen wieder „in ihre Mitte“ finden. Achtsamkeitstraining, Meditation, Yoga und können helfen. Auch Bewegung ist extrem wichtig.
Erleben Frauen den Übergang zu den Wechseljahren eigentlich auch positiv?
Aus meiner Erfahrung heraus: in unserem Kulturkreis eher selten. Für viele ist das Ausbleiben der Periode eine Art Verletzung in psychologischer Hinsicht. Die Fähigkeit, Kinder zu bekommen, ist ein wichtiger Teil ihres Frauseins. Diese Frauen haben dann auch wirklich Angst vor dem was kommt. Daher ist die erste Reaktion eher eine Verdrängung, ein nicht-wahr-haben-wollen.
Und dann ist da natürlich noch das Frauenbild in unserer Gesellschaft, immer jung und schön sein zu müssen.
Ich empfehle dann, in sich hinein zu horchen. Wichtig ist, dass Frauen lernen, die Situation anzunehmen und aktiv damit umzugehen. Mit der Akzeptanz steigt dann auch die Bereitschaft zur Lösung. Hier kann unter Umständen auch ein Coaching hilfreich sein, um zu neuem Selbstbewusstsein und positivem Lebensgefühl zurück zu finden.
Was können Frauen – über Medikamente hinaus – Gutes für sich tun?
Eine ganze Menge! In den Wechseljahren verändert sich zum Beispiel das Kollagen und der Beckenboden wird schwach und senkt sich. Beckenbodengymnastik halte ich daher für sehr wichtig. Besonders bei Frauen, die eine Blasenschwäche haben.
Hormonyoga ist eine weitere Empfehlung. Dabei wird der Atem in die Beckenorgane geleitet, wodurch sich die Durchblutung verbessert und der Östrogenspiegel angehoben werden kann, so dass sich viele Frauen tatsächlich besser fühlen. Nebenbei bemerkt ist das auch eine gute Technik für Frauen, die schwanger werden wollen. Es darf aber nur von Frauen angewendet werden, die keine Kontraindikation für Hormone haben wie Brustkrebs oder Endometriose.
Wichtig ist außerdem, da wir ja immer älter werden, die gesamte Muskulatur zu trainieren in Bezug auf Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit. Kraft kann man sehr schön mit dem Theraband trainieren, Ausdauer durch Walken und die Beweglichkeit mit Yoga.
Außerdem würde ich Vitamin D empfehlen, im Winter ganz sicher (20.000 Einheiten pro Woche), aber inzwischen auch im Sommer (etwa 1000 Einheiten pro Tag), denn es wurde festgestellt, dass durch die Luftverschmutzung und unsere Kleidung, auch im Sommer der Anteil an selbst produziertem Vitamin D eigentlich zu niedrig ist. Das stärkt nicht nur das Immunsystem, sondern ist auch gut für die Knochengesundheit.
Und schließlich können wir auf unsere Ernährung achten. Hier ist nicht nur das „was“ entscheidend, sondern auch das „wie“. Meine Empfehlung ist weniger Fleisch, dafür aus kontrollierter Quelle. Fisch, wegen der Omega-3- Fettsäuren. Wenig säurebildenden Nahrungsmittel, wie beispielsweise Kaffee. Außerdem Gemüse und Obst aus regionalem, saisonalem, biologischem Anbau der Region. Viel trinken. Und ganz wichtig: Sich Zeit nehmen beim Essen, ohne Ablenkung, wie Fernseher, Smartphone etc.
Herzlichen Dank, liebe Frau Dr. Lindner-Wesel!
Frau Dr. Gabriele Lindner-Wesel ist seit 30 Jahren als niedergelassene Gynäkologin tätig. Zusammen mit ihrem Mann, Allgemeinarzt, Psychotherapeut und Kommunikationstrainer, hat sie ihre Praxis im ganzheitlichen Konzept geführt, bei dem das Gespräch mit den Patientinnen ein zentrales Element der Behandlung war.
Frau Dr. Lindner-Wesel hat ihre Praxis zwar vor kurzem an eine jüngere Kollegin übergeben, aber sie ist definitiv nicht im Ruhestand. Sie arbeitet weiterhin in der Max Grundig Privatklinik Bühlerhöhe als Frauenärztin und Spezialistin für Hormonfragen, gibt Kurse zum Thema Wechseljahre, hält Vorträge und gibt Workshops zu Gesundheitsthemen, wie beispielsweise das Glücksseminar „Achtsamkeit in der Partnerschaft“. Ihr Anti-Aging Zentrum war vor 25 Jahren das erste deutschlandweit.